Der Ausbau von Energieinfrastruktur braucht Zeit. Bis eine große Übertragungsleitung steht beziehungsweise unter der Erde liegt vergehen leicht 10 Jahre. Gleichzeitig verändert sich unsere Energieversorgung momentan sehr schnell: 2010 lag der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung noch bei knapp 17% - aktuell erzeugen sie schon gut 40%. Damit unser Stromnetz trotzdem mithalten kann, muss bereits heute überlegt werden wie unser Energiesystem von übermorgen aussehen wird. Eine der Aufgaben der Bundesnetzagentur (BNetzA) ist es, genau diese Prognose anzustellen. Dazu fragt sie die Übertragungsnetzbetreiber, die ÜNB, nach Szenarien wie unser Energiesystem in 10 bis 15 Jahren aussehen könnte: Wie viel Strom werden Kohle- und Gaskraftwerke produzieren und wie viel die Erneuerbaren? Welche Rolle werden Stromspeicher spielen und wo in Deutschland werden sie vermutlich stehen? Wo werden sich viele Windräder drehen und wo eher PV-Anlagen laufen? Werden wir mehr Strom verbrauchen oder eher weniger? Die ÜNB haben durch ihre Arbeit viel Erfahrung mit den Prozessen und Dynamiken des Strommarktes und berechnen mithilfe von Computermodellen vier unterschiedliche Szenarien. Die Experten der BNetzA prüfen dann diese Entwürfe gründlich auf Übereinstimmung mit den Energiezielen der Bundesregierung. Die bestätigte Version bildet dann die Grundlage für die Berechnungen zur Erstellung des sogenannten Netzentwicklungsplans, des NEP. Dieser beschreibt konkrete neue Übertragungsleitungen, die notwendig sind, um auch in Energiewelt von übermorgen mit mehr grünem Strom, neuer Mobilität und klimafreundlicher Industrie jederzeit die sichere Stromversorgung Deutschlands zu gewährleisten.
Frequently Asked Questions (FAQ)
Am 01. Juli 2020 hat die BNetzA den Szenariorahmen für das Jahr 2035 bestätigt und veröffentlicht. Damit reicht das Szenario fünf Jahre über die bislang politisch konkretisierten Ziele im Bereich der Erneuerbaren Energien, E-Mobilität und allgemein im Verkehrs- und Wärmesektor hinaus. Daher haben die Zahlen der Prognose keine direkte Bindungswirkung. Vielmehr sind sie gründlich berechnete Richtwerte um trotz der aktuell fehlenden politischen Führung voranschreiten zu können. Denn die Anforderungen an unser Energiesystem wachsen und entwickeln sich, auch wenn die derzeitige Regierung nichts entscheidet.
Um zu der benötigten installierten Onshore Windenergieleistung zu kommen, rechnet die BNetzA mit bis zu eineinhalbmal so viel jährlichem Zubau für Wind an Land als bislang im Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) vorgesehen: Das wären ab jetzt gut 1300 neue Windräder pro Jahr – tatsächlich waren es 2019 nur 325. Trotz der ebenso vorgesehenen Verdrei- bis Vervierfachung der Offshore-Leistung und der Verdopplung von PV sei das Erneuerbare-Energien-Ziel der Bundesregierung sonst bis 2030 unmöglich zu erreichen. Doch wie gesagt, die BNetzA kann nur berechnen was notwendig wäre. Die Maßnahmen ergreifen um den Ausbau nach der zurückliegenden dreijährigen Flaute wieder anzukurbeln muss die Bundesregierung selber.
Außerdem müssten in den nächsten 15 Jahren Strom in Höhe der Jahresproduktion von etwa zwei bis fünf Atomkraftwerken eingespart werden, um den Stromverbrauch trotz des zusätzlichen Bedarfs durch eine elektrifizierte Industrie, Mobilität und Wärmebereitstellung möglichst wenig ansteigen zu lassen. Steigt der Bedarf nämlich schneller als Erneuerbare zugebaut werden, wird das EE-Ziel auch verpasst! Dem gegenüber stehen wie gesagt die ambitionierten Ziele von 45-75 Mal so vielen E-Autos, einer Verdrei- bis Versiebenfachung von verbauten Wärmepumpen und 50 bis 100 Mal so viel Leistung für die Herstellung von Wasserstoff aus Strom. Summa summarum: 95,5-169,7 TWh. Ohne massive Einsparungen würde allein für die Sektorenkopplung bis 2035 so viel zusätzlicher Strom benötigt, wie zwei Drittel bzw. alle Kohlekraftwerke in Deutschland in 2019 produziert haben.
Spannend ist auch, dass es nach den Berechnungen der BNetzA offensichtlich dennoch problemlos möglich und marktwirtschaftlich sehr wahrscheinlich ist den Kohleausstieg schon 2035 abzuschließen. Warum die Bundesregierung die Kraftwerksbetreiber trotzdem bis einschließlich 2038 mehr als reichlich entschädigen möchte, bleibt entsprechend wieder einmal mehr unklar. Schließlich beweist diese eigentlich nur gesetzesvollziehende Behörde ihren energiewirtschaftlichen Pragmatismus: Im Szenario C sieht die BnetzA vor, die Ortswahl für einen Teil der strombasierten Wasserstoffherstellung den Übertragungsnetzbetreibern zu überlassen, um dessen netzstabilisierendes Potential sicherzustellen. Denn bis die Bundesregierung wirksame tarifliche Anreize gesetzlich sichert, würden im Zweifel schon viele Anlagen gegen das Stromnetz arbeiten. Gleichwohl schwingt in dem gesamten Szenariorahmen stets folgende Fußnote mit: „Eigentlich ist das hier gerade gar nicht unsere Aufgabe. Eigentlich müsste die Regierung nun endlich mal einige energiepolitische Zukunftsentscheidungen treffen.“
Nein, der Szenariorahmen dient dazu grundlegende Prognosen über die Zukunft unserer Energieversorgung zu konkretisieren und zu beziffern. Diese möglichen zukünftigen Rahmenbedingungen von Stromerzeugung und –verbrauch, z.B. Orte der erneuerbaren Stromerzeugung, Anteil von fossiler Energie und Strombedarf für E-Mobilität, können dann mit der Situation von heute verglichen werden. Mithilfe von komplexen Modellen, die möglichst viele energiewirtschaftliche Faktoren berücksichtigen, kann dann in einem nächsten Schritt ermittelt werden, was für die Zukunft noch fehlt. Das geschieht dann allerdings im sogenannten Netzentwicklungsplan, kurz NEP. Im NEP ist beschrieben, von wo nach wo Strom in Zukunft fließen muss und welche neuen Verbindungen man dafür noch braucht.
Das ist die Bundesnetzagentur (BNetzA), eine gesetzesausführende Behörde mit Sitz in Bonn. Sie hat die Aufgabe die Prognosen der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) über unser Energiesystem in 10 bis 15 Jahren zu kontrollieren. Dabei prüft sie gründlich auf Übereinstimmung mit den Energiezielen der Bundesregierung sowie die energiewirtschaftliche Korrektheit der Angaben. Es ist sinnvoll, die Szenarioentwürfe durch die Übertragungsnetzbetreiber erstellen zu lassen, da diese durch ihre Arbeit viel Erfahrung mit den Prozessen und Dynamiken des Strommarktes haben.
Das ist unterschiedlich. Die ersten vier Szenariorahmen (Zieljahre 2022-2025) wurden im Abstand von einem Jahr veröffentlicht. Die letzten beiden mit den Zieljahren 2030 und 2035 wurden dann mit zwei Jahren Abstand erarbeitet. Allerdings „schauen“ sie jeweils schon fünf Jahre weiter in die Zukunft. Außergewöhnlich ist außerdem, dass es für das Zieljahr 2030 zwei Szenariorahmen gegeben hat.
Das liegt daran, dass der aktuelle NEP bis 2030 nicht zu dem gerade veröffentlichten 7. Szenariorahmen „gehört“. Er baut auf den 2018 bestätigten 6. Szenariorahmen auf. Allerdings startet die Berechnung des folgenden Szenariorahmens immer schon parallel zum vorherigen Prozess. Der erste Entwurf des NEP zum 7. Szenariorahmen 2035 wird erst in den kommenden 12 Monaten erstellt und dann zur öffentlichen Konsultation gestellt.
Ja und nein. Sie sind verbindlich für die Übertragungsnetzbetreiber, die nun darauf basierend den Entwurf des NEP erarbeiten müssen. Allerdings haben die Annahmen keine Bindungswirkung für die Industrie oder Bürgerinnen und Bürger. Wenn diese beispielsweise planen für 2035 mehr Strom zu verbrauchen als es im Szenariorahmen antizipiert ist, dann dürfen sie das. Verbindliche Vorschriften können nur in Form eines Gesetzes gemacht werden, also indem der Bundestag einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zustimmt. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Netzentwicklungsplan: die darin enthaltenen Trassenkorridore erhalten erst durch das anschließende Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) eine vollständige Verbindlichkeit. Das nächste BBPlG mit den Leitungsvorhaben bis 2030 steht noch im Laufe des Jahres 2020 an.
Leider nein. Aber auch wenn diese Kritik inhaltlich korrekt ist, ist der Adressat der Falsche. Die BNetzA muss sich bei der Erstellung der Szenarien an den Vorgaben der Bundesregierung orientieren. Deren aktuellstes Ziel laut Kohleausstiegsgesetz von Anfang Juli diesen Jahres liegt bei 65% bis 2030 und auch bis 2050 sind nur 80% anvisiert. Es ist absolut notwendig und wünschenswert, dass die Zukunftsszenarien für Deutschland zu den ratifizierten Klimaverpflichtungen passen. Doch nicht die BNetzA beschließt welche Ziele Deutschland klimapolitisch erreichen soll, sondern die Bundesregierung.
Nein! Das ist absolut falsch und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens kann die BNetzA gar nicht bestimmen, wo Strom produziert wird. Wir leben in keiner Planwirtschaft. Sie kann lediglich Prognosen darüber anstellen, was in Zukunft wahrscheinlich ist und was notwendig wäre um die energiepolitischen Ziele Deutschlands zu erreichen. Zweitens hat die BNetzA keinerlei Interesse daran den Stromtransportbedarf unnötig zu erhöhen und möglichst viel Strom aus dem Norden in den Süden zu transportieren. Vielmehr korrigiert sie regelmäßig die Leitungsvorschläge der Übertragungsnetzbetreiber nach unten, streicht also unnötige Ausbauvorhaben. Schließlich wird im Szenariorahmen das gesamte deutschlandweite Potential für den Bau von Erneuerbarer Energie Anlagen nicht nur erhoben sondern auch analysiert wie der Zubau möglichst netzorientiert stattfinden kann. Also auf welche Weise möglichst wenige Stromleitungen aufgrund der Energiewende neu gebaut werden müssen. Allerdings muss beachtet werden, dass alternative Szenarien mit geringerem Netzausbau stets von einem sehr starken Ausbau von Onshore-Windenergie in Süddeutschland ausgehen, teils sechsmal mehr als die BNetzA annimmt. Angesichts der Tatsache, dass gerade in Bayern durch die 10H Regel besonders strenge Abstandsregeln gelten, wäre eine solche Zubausteigerung wenig wahrscheinlich. Alleine durch PV Anlagen auf Hausdächern jedoch wird sich schwerlich ein BMW-Werk mit Strom versorgen lassen. Darum kann es nur ein Sowohl-als-Auch geben können: es muss sowohl alles Potential an Aufdach-PV genutzt werden als auch die Möglichkeit zum Transport großer Strommengen von Produktions- zu Vebrauchszentren eröffnet werden.